Bildung als Selbstbefreiung

Freie Schule Christophine · Christophine Reinwald · Gemälde von Ludovike Simanowiz, etwa 1790

Weil wir Christophine schätzen

Christophine Schiller kam am 4. September 1757 in Marbach zur Welt, als älteste Tochter einer Familie, die in einfachen Verhältnissen lebte. Ihr Bruder Friedrich, „der Schiller“, durfte zur Schule gehen, sie nur sehr kurz – Mädchen hatten in dieser Welt keinen Platz im Klassenzimmer. Doch Christophine ließ sich nicht in diese Rolle drängen. Sie brachte sich Wissen selbst bei, unterrichtete später Zeichnen und korrespondierte mit Gelehrten ihrer Zeit. Ihre Bildung war kein Geschenk, sondern eine erkämpfte Möglichkeit.

Trotz dieser Eigenleistung blieb sie lange unsichtbar. In den Geschichtsbüchern taucht ihr Name selten auf. Doch wer genau hinsieht, erkennt ihren Einfluss: Sie war die Spielgefährtin, die ihrem Bruder früh Predigten entlockte, die Vertraute, die er einweihte, als er 1782 aus Stuttgart floh, und die Ratgeberin, die ihn durchs Leben begleitete. Feministisch gelesen ist das ein klassisches Muster: Frauen prägen entscheidend, werden aber im Nachhinein an den Rand geschrieben.

Christophine fand Wege, in engen Räumen Autonomie zu entwickeln. Sie schrieb über ihr Leben, lobte die Kraft ihrer Eltern, widersprach aber dem Glanz der „feinen Bildung“, den sie als oberflächlich empfand. In dieser Klarheit steckt eine Frage, die bis heute aktuell ist: echt sein oder Rolle spielen?

Dass unsere Schule ihren Namen trägt, ist deshalb mehr als Erinnerung. Es ist ein Zeichen, bewusst eine Frau ins Zentrum zu stellen, die gegen die Normen ihrer Zeit ihren Weg fand. Christophine steht für Resilienz, Eigensinn und Lernlust. Sie zeigt uns, dass Bildung immer auch Selbstbefreiung bedeutet – besonders dann, wenn man ausgeschlossen wird.

Ihre Geschichte erinnert uns daran, Räume zu schaffen, in denen Kinder unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Normen lernen und wachsen können. Christophine bleibt so nicht Denkmal, sondern lebendige Inspiration für die Schule von heute.

LO • September 2025

Ölgemälde von Ludovike Simanowitz, um 1790